VES/ECAD-Projektgruppen

Aufgabenstellung und Zielsetzung

Die Bordnetzentwicklung ist ein mehrstufiger, stark arbeitsteiliger Prozess, in dem ein hochgradig individualisiertes, komplexes Produkt entsteht. Um diesen Prozess effizient zu unterstützen, definieren die im Vehicle Electrical System Workflow Forum (VES WF) mitarbeitenden Automobilunternehmen und Lieferanten den „Vehicle Electric Container“ (VEC) als vollständiges digitales Produktmodell und entwickeln Methoden für eine unternehmensübergreifende, modellbasierte Entwicklung. Neben der Weiterentwicklung und Wartung der Standards „Vehicle Electric Container“ (VEC, PSI-21 / VDA 4968) und „Kabelbaumliste“ (KBL, PSI-19 / VDA 4964) erarbeitet die Projektgruppe Implementierungsleitfäden und Use-Case-bezogene Tutorials, um die Ausbildung von Dialekten zu unterbinden.
Das ECAD Implementor Forum (ECAD IF) ist die Plattform für Systemanbieter. Es unterstützt Vendoren und Anwender bei der Umsetzung und Erprobung von Lösungen, die auf den zuvor genannten Standards basieren, durch Implementierungsleitfäden und gemeinsame Testrunden. Die Aktivitäten von VES WF und ECAD IF sind eng miteinander verzahnt. Die Vendoren werden frühzeitig in den Reviewprozess der Implementation Guidelines und in die Diskussion von offenen Fragen und geplanten Modellerweiterungen eingebunden.

Schwerpunkte und konkrete Ergebnisse

Da die oben genannten Standards im industriellen Einsatz sind, hat das VES WF momentan zwei wesentliche Arbeitsschwerpunkte, einerseits die anforderungsorientierte Weiterentwicklung des VEC auf Basis von Feedback aus den nutzenden Projekten, andererseits die themenorientierte Weiterentwicklung auf Basis von absehbaren zukünftigen Herausforderungen.
Folgende Ergebnisse und Themen der Projektgruppe aus dem Jahr 2024 sind besonders hervorzuheben:

1. Veröffentlichung des VEC als Ontologie

Die seit Beginn der Initiative verfügbare XML-Repräsentation des VEC-Modells ist sehr gut geeignet, wenn in sich geschlossene und vollständige Datensätze zu definierten Zeitpunkten ausgetauscht werden sollen. Die technologischen Trends in der Branche zeigen aber, dass es einen zunehmenden Bedarf an einer vernetzten, interoperablen und verteilten Repräsentation von Daten gibt. Dataspaces, Linked Data und Knowledge Graphen sind einige der Schlagwörter, die für diesen Trend stehen.
Die technische Grundlage, um Daten in einem solchen Ökosystem zur Verfügung zu stellen, ist eine semantische Beschreibung des zugrundeliegenden Modells mit Hilfe von Ontologien.
Um zukünftig VEC-Daten auch in einem solchen Umfeld eindeutig nutzen zu können, werden seit diesem Jahr alle VEC-Versionen (auch bereits veröffentlichte), zusätzlich zur klassischen XML-Repräsentation, als Ontologie auf Basis des „Resource Description Frameworks (RDF)“ zur Verfügung gestellt und stehen im ECAD-Wiki zum Download bereit.

Zwei konkrete Anwendungsfälle dieser neuen technischen Möglichkeiten im Rahmen der VES WF und ECAD IF sind (siehe auch Punkte 2 und 3):

  • Digitale Änderungsbeschreibung
  • Automatisierte Compliance Tests


2.    Digitale Änderungsbeschreibung

In einem änderungsgetriebenen Prozess wie der Bordnetzentwicklung, ist die präzise digitale Beschreibung von Änderungsinhalten und deren Austausch zwischen Partnern ein wesentlicher Enabler für verschiedenste Potentiale.
Mit der Bereitstellung des VEC-Modells als Ontologie erweitert sich der Kreis der zur Verfügung stehenden technischen Lösungsansätze für dieses Thema. Nach eingehender Analyse und Diskussion in der Gruppe fiel die Wahl auf RDF, da mit diesem Format, im Gegensatz zur klassischen XML-Repräsentation, auch Modellausschnitte bzw. sogar einzelne Attribut-Werte eindeutig und präzise ausgetauscht werden können.
Da es sich hierbei um technisches Neuland handelt, wurde in der zweiten Jahreshälfte ein Proof-Of-Concept gestartet, der zum Beginn des neuen Jahres abgeschlossen sein wird. Erste Zwischenergebnisse sind bereits vielversprechend.

3.    Automatisierte Compliance Tests

Die Nutzung von Ontologien eröffnet die Möglichkeit, semantische Regeln aus dem Datenmodell formalisiert und standardisiert zu definieren, und mit frei verfügbaren Werkzeugen (Open Source) automatisiert zu prüfen. Mit den bisher zur Verfügung stehenden Methoden war es lediglich möglich, eine syntaktische Prüfung durchzuführen. Einfache semantische Zusammenhänge konnten dabei nur textuell beschrieben werden. Für eine hohe Interoperabilität eines komplexen Modells wie dem VEC ist aber essenziell, Implementierungsregeln nicht nur textuell zu beschreiben, sondern diese auch automatisiert zu prüfen.
Aus diesem Grunde wurde im Rahmen des ECAD IF eine Compliance Test Suite mit einem ersten Satz an formalen, semantischen Regeln angelegt. Diese können in RDF- Umgebungen mit Standard-Technologien geprüft werden. Herkömmliche VEC XML Daten könnten mit Hilfe eines frei verfügbaren Toolkits von 4Soft ebenfalls nach den gleichen Regeln überprüft werden.
Das Ziel ist es, einen kontinuierlich wachsenden Regelsatz zu schaffen, der einerseits die Bildung von Dialekten vermeidet, und anderseits eine Hilfestellung für Umsetzende des Standards beim Testen ihrer Lösungen sein soll.

4.    „Bordnetze Digital“

Der Kongress „Bordnetze Digital“ fand in diesem Jahr erstmals in Zusammenarbeit mit der ARENA2036 in Stuttgart statt. Dieses erste gemeinsame Projekt zwischen prostep ivip und der ARENA2036 war ein großer Erfolg. Die kooperative Organisation der Veranstaltung verlief reibungslos und der Kongress konnte eine hohe Teilnehmerzahl verzeichnen. Zudem wurde ein qualitativ hochwertiges Programm zusammengestellt. Eine Fortsetzung der Veranstaltung im kommenden Jahr ist bereits in Planung.

5.    „Standardisierungsinitiative Leitungssatz“

Die „Standardisierungsinitiative Leitungssatz“, der ARENA 2036, formuliert die Norm DIN72036 mit der Zielsetzung, einen höheren Automatisierungsgrad in der Leistungssatzfertigung zu erreichen. Mit dem VEC-Release 2.0 (2022/2023) sind die bisher bekannten Anforderungen aus dieser Initiative umgesetzt.  Damit wird es künftig möglich sein, die Normkonformität des Leitungssatz-Design auf Basis der VEC-Beschreibungen zu beurteilen. Das kommende VEC-Release 2.2, geplant für Mitte 2025, wird bereits neue Anforderungen der nächsten Version der Norm umsetzen.

6.    Projekt „Verwaltungsschale für den Leitungssatz“

Das Projekt „Verwaltungsschale für den Leitungssatz“ der ARENA2036 beschäftigt sich mit der Umsetzung der Industrie 4.0 Verwaltungsschale als interoperabler Digitaler Zwilling für die Wertkette des Leitungssatzes (inkl. Produktion). Hier wird der VEC als Teilmodell für die Spezifikation des Produkts verwendet. Im Rahmen dieser Initiative entsteht auch die „OPC UA Companion Specification Wire Harness Manufacturing“. In dieser werden für die Spezifikation des Produkts ebenfalls Ausschnitte des VEC-Modells verwendet. Mit dem VEC-Release 2.1 (Ende 2023/ Anfang 2024) wurden auch neue Anforderungen aus dem Bereich der Fertigung umgesetzt.

7.    VEC & die Cloud

Die industrielle Cloud mit neuen Kollaborationskonzepten, Softwarearchitekturen und aktuellen Initiativen wie Catena-X versprechen Potentiale, stellen aber auch neue Anforderungen an die Informationsbereitstellung. Hierzu finden derzeit Überlegungen statt, wie das Modell des VEC und seine technischen Repräsentationen dazu stehen. Auch deshalb stellte die Projektgruppe ihre derzeitigen Ergebnisse auf dem diesjährigen Kongress „Bordnetze Digital“ in Stuttgart vor. Interessante Vorträge setzten Akzente und wurden durch eine interaktive Podiumsdiskussion abgerundet.

Das ECAD IF hat sich als Austauschplattform für die umsetzenden Unternehmen bewährt. Es wird intensiv genutzt, um vor der Umsetzung von VEC-Konzepten Implementierungsfragen zu klären. Damit konnte sicher die eine oder andere Dialektbildung vermieden werden. Die bei der Validierung der bereitgestellten Testdaten identifizierten Fehler wurden an die Beteiligten zurückgespiegelt. Die daraus gewonnenen Erkenntnisse waren auch Auslöser für die Behebung von VEC-Bugs oder die Erstellung neuer Implementation Guidelines.

Organisatorische und technische Herausforderungen

Die Online-Zusammenarbeit per Teams hat sich gut etabliert für die Bearbeitung einfacher Issues. Die Durchführung regelmäßiger Präsenz-Workshops im vergangenen Jahr war für die zum Teil sehr innovativen und komplexen Inhalte erforderlich. Einzelne Reisebeschränkungen haben aber dazu geführt, dass die Präsenztreffen meist auch „hybrid“ angeboten wurden. Die Teilnehmer*innen des ECAD IF haben die regelmäßigen, zweiwöchigen Teams-Meetings mit einstündiger Dauer gut aufgenommen.

Die Planungen für das laufende Jahr 2025

Im Jahr 2025 wird die Änderungsbeschreibung auf Basis von RDF weiter vorangetrieben und detailliert ausgearbeitet. Dazu ist vorgesehen, die Umsetzung der Änderungsbeschreibung z.B. durch Tutorials und weitere unterstützende Materialien zu fördern. Darüber hinaus werden Aktivitäten initiiert, um das Produktmodell für die Entwicklung von Bordnetzen in der Cloud zu definieren. Ein besonderer Fokus liegt auf der Übertragung isolierter Änderungsinhalte, mit dem Ziel, Konzepte für eine cloud-basierte Bereitstellung von Konstruktionsdaten zu entwickeln. Hierbei sollen Repräsentationen, die aufeinander aufbauen, Referenzen auf ihre Basisdaten enthalten. Zudem wird untersucht, wie die Spezifikation eines OEMs mit der Fertigungssicht so verknüpft werden kann, dass Änderungen in beide Richtungen, einschließlich der prozessspezifischen Umformungen, übermittelt werden können. Ein weiterer wichtiger Arbeitsbereich im Jahr 2025 wird die Bearbeitung und Umsetzung von VEC-Issues sowie die Erstellung zusätzlicher Implementierungsleitfäden sein. Das ECAD IF plant die Durchführung von Testrunden im Bereich Stammdaten, Schaltplan und Wiring.

Das sagt die Projektkoordination:

„Die exzellente und harmonische Zusammenarbeit innerhalb unserer Projektgruppen war der Schlüssel zum Erfolg. Durch intensiven Austausch und gemeinsames Engagement konnten wir bedeutende Themen anstoßen und wichtige Meilensteine erreichen. Tools wie JIRA, Confluence und das Wiki haben dabei eine entscheidende Rolle gespielt, indem sie die Zusammenarbeit erleichtert und unsere Effizienz erheblich gesteigert haben.“

Das sagt der VES-WF Projektpartner (Volkswagen):

„Das VEC-Modell bewährt sich als Austauschmodell unserer neuen Toolkette VOBES2025. Die KBL reicht für unsere neuen Use Cases bei weitem nicht mehr aus, hier hilft der VEC. Durch die Mitarbeit in der Projektgruppe können wir die weitere Entwicklung des Standards mitgestalten und helfen, die wenigen Lücken zu schließen.“

 

Das sagt der ECAD-IF Projektpartner (Siemens):

„Als Mitglied im ECAD-IF profitieren wir von einer starken Gemeinschaft, die es uns erlaubt, Herausforderungen bei der Implementierung von Standards wie VEC und KBL gemeinsam zu lösen und die Bordnetzentwicklung voranzutreiben.“

Projektleitung

Pate WF, IF
Jorgos Kyriazis, Volkswagen AG

prostep ivip Kontakt (Koordination)

Philipp Kremer
+49 175 1975 650
philipp.kremer(at)prostep.com

Teilnehmer

VES Workflow Forum:

Aptiv Services Deutschland GmbH
BMW AG
Lisa Dräxlmaier GmbH
Mercedes-Benz AG
Nexans autoelectric GmbH
Sumitomo Electric Bordnetze SE
Volkswagen AG
Yazaki Systems Technologies GmbH

ECAD Implementor Forum:

4Soft GmbH
Aptiv Services Deutschland GmbH
AUCOTEC AG
PROSTEP AG
Siemens Electronic Design Automation GmbH
Vector Informatik GmbH
Volkswagen AG